die Probleme der Rotach

Die Rotach wurde in ihrer Historie mehrmals denaturiert, eingedämmt, begradigt. Zuletzt in den 1980-er Jahren, wo das Bachbett auf der Friedrichshafener Gemarkung auf ein Fassungsvermögen von 88 cbm/sek ausgebaut wurde.

 

Zitat aus dem Nachhaltigkeitsbericht der Stadt Friedrichshafen, Schriftenreihe Umwelt, Band 7, Kapitel 3, Fortschreibung 2017, Langfassung:

 

"Rotach: Massive Böschungs-Sicherung unterbindet eine naturnahe Uferausbildung und degradiert das Gewässer zu einem Abfluss- und Ableitungsgerinne. Die Möglichkeiten einer naturnahen Böschungsgestaltung mit ingenieurbiologischer Ufersicherung

können hier Abhilfe schaffen"

 

 

Aktuelle Berechnungen, die auch bisherige Einleitungen, Entwässerungen, Versiegelungen im Ober- und Unterlauf sowie entsprechende Klimawandel-Zuschläge berücksichtigen, führen jedoch zu einer Wassermenge, die bei einem 100-jährigen Hochwasser auf eine Menge bis zu 

 

117 cbm/sek

 

ansteigen wird. Wenn man bedenkt, dass die Rotach im Normalfall ein gemütliches Flüsschen in einem tief ausgewaschenen (ausgebaggerten?) Bachbett ist, das im Durchschnitt 2 - 3 cbm/sek abführt, bedeutet das ca. eine VERVIERZIGFACHUNG der Wassermenge bei einem Hochwasser, das einmal in 100 Jahren vorkommen könnte. Weite Teile von Bunkhofen, Meistershofen, Löwental, St. Georgen, Schreienösch und Kitzenwiese stünden dann unter Wasser.

Solch ein Hochwasser ist durchaus vorstellbar, wenn viele Einflüsse sich kumulieren. Z. B. an einem späten Wintertag, wenn der Boden noch gefroren ist, eine hohe Schneedecke darauf liegt und im gesamten Einzugsgebiet der Rotach Tauwetter mit Regen einsetzt. 

 

Zu den Hochwassergefahrenkarten des Landes Baden-Württemberg geht es hier

Die dort verlinkten Gefahrenkarten zu Überflutungsflächen und -tiefen führen zur Landesanstalt für Umwelt BW.

Nach Eingabe des gesuchten Ortes erscheint für Friedrichshafen folgendes Bild:

 

 

 

Am 16.10.2018 tagte der Gemeinderat Friedrichshafen zum Thema Rotach

Die Unterlagen zur Sitzung finden Sie hier 

(btw: Auch die Planungen des Büros Rapp, Biberach zur Hochwassersanierung sind hier zu finden)

in der Unterlage Nr. 1 "Sitzungsvorlage" findet sich auf Seite 12 unter Punkt 8.1.2 folgendes Zitat:

"Die Vorwarnzeit ist (insbesondere für die Feuerwehr) sehr kurz, da die Rotach bei entsprechenden Niederschlägen (und evtl. Schneeschmelze) sehr schnell ansteigt (z.B. um 1 m in 4 Std.).

 

Das ist nur ziemlich genau die halbe Wahrheit

Nach einem heftigen lokalen Unwetter mit Hagelsturm über Friedrichshafen am Samstag, 8.Juli 2017 zeigt der Pegel folgendes Bild:

 

Quelle: Pegelmessung LUBW, Pegel Friedrichshafen/Rotach
Quelle: Pegelmessung LUBW, Pegel Friedrichshafen/Rotach

 

Innerhalb von nur einer Stunde steigt der Pegel von 40 cm auf über 240 cm und erreicht damit fast den Pegel vom Hochwasser

am 20.02.1999 mit 249 cm.

 

Während es von ca. 100 Jahren noch wochenlage Regenfälle brauchte, um die Rotach gravierend ansteigen zu lassen, hat die Rotach heute einen sprunghaften Pegel, dessen Peaks aber nur wenige Stunden dauern.

Das macht die Vorwarnzeit extrem kurz für technische Hilfsdienste.

 

Das ist aber nicht nur ein Problem der Menschen, sondern vor allem ein Problem der Wassertiere bis hin zu Mikroorganismen, die vom plötzlich reissenden Fluss überrascht und in den Bodensee gespült werden. Sie müssen danach jedesmal erst wieder in die Rotach einwandern und haben ausserdem an den hohen Böschungen wenig Möglichkeiten, sich in flachere Bereiche mit weniger Strömung zu retten.

 

 Den Pegel der Rotach (Messtation beim Lidl, Ravensburger Str. gegenüber St. Columban) kann man unter diesem Link verfolgen.

 

die Möglichkeiten der Rotach

Die Planung einer Hochwassersicherung ist aktuell gesetzlich zwingend vorgeschrieben und die Durchflussmenge von 117 cbm/sec steht fest:

 

Welche grundsätzlichen Möglichkeiten bieten sich nun dem Planer, welche Herangehensweisen könnte man zugrunde legen?

 

Entscheiden Sie selbst:

 

alle Zeichnungen: Paul Fundel
alle Zeichnungen: Paul Fundel

Satirische Anmerkung:

Natürlich ... 

könnte man die Rotach auch bis auf einen Meter  Breite verschmälern.

Man hätte dann zwar enorme Platzgewinne für Industrieparkplätze und Müllcontainer, bräuchte aber dauerhaft ca. 15 m hohe Spundwände oder Dämme für ein Hochwasser alle 100 Jahre

 

Will das jemand?

Wohl kaum!

 

Ernsthaft ...

Hochwasserdämme und weitere Dammerhöhungen bringen immer nur eine trügerische Sicherheit, insbesondere, wenn sie rechnerisch nur  1 x in 100 Jahren ihren Zweck erfüllen sollen. Wer weiss, ob sie nicht nach einigen ungenutzten Jahrzehnten genau dann brechen, wenn sie halten sollten?

 

Wie bereits an anderer Stelle geschrieben:

man kann nicht die Fehler vorangegangener Denaturierungen dadurch wieder gut machen, indem man immer weiter denaturiert.



Wenn Planer unter Platzmangel leiden, wäre eine Möglichkeit, auf der einen Seite durch einen Damm einen hochwassersicheren Weg anzulegen, den Fluss also einseitig einzusperren.

Wenigstens die andere Seite könnte renaturiert werden, sanft ansteigen und in einiger Entfernung vom eigentlichen Bachbett die benötigte Dammhöhe erreichen.


Hier nur links dargestellt: an der Rotach werden derzeit viele Wege, besonders die Durchgänge unter den Brücken, bei Hochwasser beidseitig  überspült und müssen anschließend jedesmal vom Bauhof wieder freigespült und von Matsch und Schlamm befreit werden.

 

Aber auch das ist eine Möglichkeit, dem Bachbett eine gewisse Breite zu verschaffen.

 


Eine Version der Wegführung, die die aktuellen Planer bislang noch überhaupt nicht in Betracht gezogen haben:

 

Dem Fluss wird die maximale Breite gegeben, die aufgrund der Eigentumsverhältnisse (gerne auch Zukäufe) möglich sind. Beide Ufer werden komplett renaturiert.

 

Der Weg wird auf einem hochwassersicheren Steg geführt.

 

Obwohl künstliche Einbauten ins Bachbett immer kritisch zu sehen sind:

An besonders schwierigen oder besonders schönen Stellen könnte eine solche Wegführung viele Platzprobleme lösen.

 

Für solche Radbrücken und -stege gibt es andernorts bereits kühne Planungen und Wegführungen:

Beispiel Tübingen

spektakulärer freischwebender Radweg am Gardasee

Cykelslangen Kopenhagen

 


5 Vorschläge an die Politik für Interimsmaßnahmen,      die Hochwasserbetroffenen wirklich helfen würden:

 

Natürlich ist eine Hochwassersicherung, insbesondere wenn sie eine Renaturierung beinhaltet, nicht von heute auf morgen zu leisten.

100 Jahre Denaturierung, Oberflächenversiegelungen, Entwässerungen, Kanaleinleitungen können nicht im Schnellverfahren zurück gebaut werden.

 

Eine durchdachte Renaturierung braucht Zeit und Planungsspielraum für aktuelle und spätere Landkäufe und auch Zeit für die ökologisch fachgerechte Planung umweltschonender Maßnahmen.

 

Die Stadt rechnet aktuell mit ca. 90 Mio Euro Schaden

Bei einem 100-jährigen Hochwasser, das beim heutigen Zustand der Rotach jederzeit  eintreten könnte, könnte diese Schadenssumme schnell erreicht werden.

 

Deshalb 5 Vorschläge zu Interimsmaßnahmen an die Politik, um den zeitlichen Druck aus der Hochwasserplanung/Rotachrenaturierung zu nehmen und dem Vorsorgeprinzip zur Schadensminimierung gerecht zu werden:

 

  1. Richten Sie für die Dauer der Hochwasserumbau- und Renaturierungsmaßnahmen einen konkreten Notfallplan ein. Der würde auch beinhalten, dass alle Betroffenen über die fälligen Maßnahmen und deren zeitlichen Ablauf informiert werden.
  2. Richten Sie ein Hochwasser-Notfalltelefon ein, bei dem nicht nur die Gefährdeten anrufen können, sondern die Betroffenen auch sehr kurzfristig benachrichtigt und über die zu erwartende Wasserhöhe und die erforderlichen Maßnahmen unterrichtet werden können. Wie gesagt: an der Rotach kann die Vorwarnzeit sich auf bis zu 1 Stunde verkürzen.
  3. Richten Sie einen Hochwasserschadens-Fonds ein, der diese 90 Millionen bereit hält. Nur dann können Sie auch mit dieser Schadenshöhe an die Öffentlichkeit treten, denn bislang sind alle Anwohner, die durch die immer höher zu rechnenden Hochwässer betroffen sind, finanziell komplett auf sich alleine gestellt, da auch keine private Versicherung zu einer leistbaren Prämie bereit ist, im Hochwassergebiet zu versichern. Nur das Land BW stellt Hochwasserbetroffenen auf Antrag eine Soforthilfe von bis zu 500 Euro zur Verfügung.
  4. Sprechen Sie mit Landwirten im Hinterland, ob sie gegen eine Entschädigung ihre Ackerflächen zur Überflutung frei geben würden.       Jede Fläche, die an der Rotach entlang überschwemmt werden kann und weniger Schaden macht als eine Überflutung von Gebäuden/Kellern (durch die Entlastung und Rückhaltung von Wassermassen) wäre wichtig und effektiv. Der Schaden für den Landwirt ist lange nicht so groß. Gerade im Winter ist es der Wiese zumindest ziemlich folgenlos, wenn sie überflutet wird, ebenso bei Plantagen. Ackerkulturen wie Winterweizen leiden etwas mehr. Schäden belaufen sich aber maximal auf 1000-2000 Euro/ha. Kommt das Hochwasser während der Vegetation kann der Schaden bei Intensivobst eventuell auch höher ausfallen. Würde man Landwirten Schadensausgleich zahlen bei Überflutung, wären eventuell manche bereit ihre Flächen kontrolliert fluten zu lassen.
  5. Richten Sie einen Rückkaufs-Fonds ein, der angrenzenden Grundstücksinhabern einen Rückkauf der Grundstücke durch die öffentliche Hand zu einem akzeptablen Preis anbietet (evtl. bei Generationenwechsel o. ä,), der auch die Lebensleistung eines Hausbaues und Hauserhaltung beinhaltet oder auch, damit man Landwirten die Flächen abkaufen kann, die bei bestimmten Durchflussmengen überflutet werden - und sie als Renaturierungsflächen der Rotach zuschlagen. Evtl. sind auch einschlägige Stiftungen dazu bereit, hierfür Gelder aufzubringen.

 

Mit diesen Punkten könnte ein alternativer Hochwasserschutz in Form von Schadensausgleich oder Ausgleich von Wertverlust sofort geleistet werden, wenn zwischenzeitlich vor Abschluß der Maßnahmen ein Hochwasser die Marke von 88 cbm/sec deutlich überschreiten sollte.

 


… und noch ein Vorschlag

bietet sich für eine Hochwasserskala vergangener und zuknftiger Hochwässer an: die Regulierungsstation des Rückhaltekanals für das Oberflächenwasser vom ZF-Forum und Karl-Olga-Park in der Aistegstraße
bietet sich für eine Hochwasserskala vergangener und zuknftiger Hochwässer an: die Regulierungsstation des Rückhaltekanals für das Oberflächenwasser vom ZF-Forum und Karl-Olga-Park in der Aistegstraße

… um die Betroffenen im Stadtgebiet für die Hochwasserproblematik zu sensibilisieren:

 

Stellen Sie an verschiedenen Punkten im Hochwassergebiet Meßlatten auf oder bringen sie Markierungen an, an denen Passanten über zu erwartende Wasserspiegel informiert werden.

 

Standortvorschlag:

z. B. am dem grauen Betonquader der Rückhalte-Regulierungsstation für das ZF-Forum-Oberflächen-Abwasser neben der Eisenbahnbrücke Aistegstraße

 



Hochwasser-Nachlese vom 29.Januar 2021

Nach heftigen Schneefällen um den 15. Januar herum, mit Schneehöhen von 40 - 60 cm schürte zunächst eine Periode von Temperaturen knapp über de Gefrierpunkt die Hoffnung auf ein gemäßigtes, langsames Abtauen. 

Leider führte ein heftiger Starkregen am Freitag, 29. Januar im Bereich Gehrenberg/Höchsten (also im Hinterland der Rotach) zu einem plötzlichen Abtauen der bis dahin dort verbliebenen Schneemenge und zu enormen Wassermengen, die direkt in die Rotach und andere Flüsse abgeleitet wurden. Die Wassermenge entsprach der eines 10-jährigen Hochwassers.

 

Für ein 100-jähriges Hochwasser, das eine Wassermenge von 117 cbm/sec in die Rotach spülen würde, müssten einige Faktoren zusammen kommen, z. B.:

 

- gefrorener Untergrund (ein gefrorener Boden auf Naturflächen hätte denselben Effekt wie Asphaltierung: das Tau- bzw. Niederschlagswasser fliesst direkt in die ableitenden Flüsse ab) Dieser Faktor war am 29.1. überhaupt nicht erfüllt. Wald-, Wiesen- und Ackerflächen im Einzugsgebiet konnten viel Wasser aufnehmen und verzögert wieder abgeben.

- Dauerregen oder plötzlicher Starkregen im Einzugsgebiet (beide Umstände waren am 29.01.2021 jeweils teilweise erfült)

- hohe Schneedecke mit einsetzendem Tauwetter (war am 29.01.erfüllt, allerdings war etwa die Hälfte des Schneefalles vom 15. Jan. bereits abgetaut) Besonders schnell taut der Schnee allerdings ab, wenn es darauf regnet (war am 29.1. erfüllt).

 

Pegelgraph 27. - 29.01.2021

Foto zum zeitpunkt des höchsten Wasserstandes, gegen 18.15, Eisenbahnbrücke Aistegstr.


Quelle: Pegelmessung LUBW, Pegel Friedrichshafen/Rotach, 30.01.2021
Quelle: Pegelmessung LUBW, Pegel Friedrichshafen/Rotach, 30.01.2021

Der Pegelgraph (Zeitpunkt des Screenshots: 30. Jan 2021, 21.04) stellt den Wasserstand im betreffenden Zeitraum dar und zeigt das steile Ansteigen des Wasserpegels bis auf eine Höhe von 270 cm, der damit an den Pegelwerten eines 10-jährigen Hochwassers kratzt.

 

Erschreckend: 

Der Fluss führte lt. Regierungspräsidium zu diesem Zeitpunkt eine Wassermenge von "nur" knapp 60 cbm/sec - also etwa die Hälfte eines 100-jährigen Hochwassers.

29.1.2021, 18.15 Uhr:

Das Foto, das ziemlich genau zum Zeitpunkt des höchsten Wasserstandes geschossen wurde, zeigt eine Rotach, die unter der Eisenbahnbrücke nur noch wenige Zentimeter unterhalb der Dammkrone steht - und "nur" knapp 60 cbm/sec abführt.

Es ist unwahrscheinlich, dass das offiziell auf 88 cbm/sec ausgebaute Flussbett hier diese Menge auch tatsächlich fassen würde.

Schwer vorstellbar ist eine Situation, die den Fluss hätte auf die gesamten, für ein 100-jähriges Hochwasser prognostizierten

117 cbm/sec ansteigen lassen.